Petra Bock
'I request a mental paradigm shift at the species level' (Petra Bock)
Photo: Joachim Baldauf
DROEMER, 2020
DROEMER, 2020
Photo: Joachim Baldauf
Dr. Petra Bock (*1970) ist Historikerin und promovierte Politologin.
Sie arbeitet als Executive Coach, ist Autorin zahlreicher international übersetzter Bestseller und eine gefragte Rednerin. Als Transformationsforscherin hat sie sich viele Jahre mit grundlegenden politischen Systemwechseln und mit menschlicher Ideen- und Geistesgeschichte beschäftigt. Angetrieben von der Frage, wie wir in unserem eigenen Leben, in Wirtschaft und Gesellschaft unser volles Potenzial an Freiheit, Wirksamkeit und Lebensqualität verwirklichen können, gründete sie 2008 die Dr. Bock Coaching Akademie, heute eines der führenden Weiterbildungsinstitute für professionelles Coaching in Europa, mit Sitz in Berlin und Zürich. Sie entwickelte eine Systematik und preisgekrönte Methode menschlicher Denk- und Handlungsmuster, die es Menschen und Organisationen ermöglicht, sich von Blockaden zu lösen und ihr volles Potential zu entfalten. Ihr neuestes Buch „Der entstörte Mensch“ (DROEMER) ist eine pragmatische Utopie und ein gesellschaftsphilosophischer Beitrag zu einem Diskurs über eine neue Lebenskultur im Anthropozän.
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MADELEINE SCHWINGE:
Kann Kunst und Kultur gesellschaftlichen Wandel fördern und welche Rolle könnten dabei insbesondere Künstler*innen und ihr Werk einnehmen? Könnte man sogar von einer führenden Rolle sprechen?
PETRA BOCK:
Seit den 80er Jahren ist das Denken, wie Phillipp Felsch bemerkte, von der Philosophie in die Kunst abgewandert. Insofern spielen Künster*innen eine wichtige Rolle. Kunst ist für mich ein Ausdruck der Entfaltung und Qualität menschlichen Denkens. Ich wünsche mir, dass Künstler*innen dabei heute den Mut haben, die Kritik der Kritik nicht aus den Augen verlieren. Das Autodafe (die Selbstverbrennung oder Zerstörung von Kunstwerken aus ideologischen Gründen, Anmerkung der Redaktion) von Kunst, die einer bestimmten Ideologie widerspricht, ist ein schauerlicher Kotau vor dem Nicht-Denken. Nie hätte ich gedacht, dass das wieder passieren könnte. Ich wünsche mir Kunst, die selbst- und weltbewusst ist, die provoziert, zum Innehalten zwingt und sich gegenüber engstirnigen Ideologien jedweder Herkunft als aufregend und sperrig erweist.
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MS:
Angesichts der radikalen Veränderungen und Krisen, die unsere Epoche prägen, dürfen wir es da überhaupt wagen, auf eine bessere Zukunft zu hoffen? Und welche Wirkkraft könnte ‚Erzählung’ für die aktive Gestaltung von Zukunft entfalten?
PB:
Krisen und Veränderungen sind nötig, um Platz für Neues zu schaffen. Alte Ordnungen werden brüchig, neue entstehen. Ohne diesen Prozess gibt es auch keine bessere Zukunft. Damit sie wirklich besser wird, braucht es neue Narrative, die Zukunft nicht mehr ausschließlich als Dystopie, sondern als Vision eines ebenso filigranen wie auch komplexen Gelingens imaginieren. Die alten Narrative einer gestörten Menschheit des Holozän sind tot. Es leben die Narrative eines konsequent lebensfreundlichen Anthropozän – auch wenn dieses seinen Weg in diesem Jahrhundert noch finden muss.
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MS:
Welche Impulse könnten aus einem transdiziplinären Dialog zwischen Kunst, Kultur und anderen Fachgebieten hervorgehen, die die Kraft hätten, gesellschaftlichen Wandel zu fördern? Welche Expert*innen und Diszipinen könnten für deine/ Ihre Arbeit fruchtbar sein?
PB:
Für meine Arbeit wichtig sind: Kunst, Kognitionswissenschaften, Kulturwissenschaften, Geschichtswissenschaften, Politik, Philosophie, Anthropologie, Erdsystemwissenschaften, Neurowissenschaften, Architektur, Psychologie, Pädagogik und Erziehungswissenschaften. Im Moment lese ich viel von Peter Sloterdijk („Nach Gott“) und Francois Jullien („Es gibt keine kulturelle Identität“)
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MS:
Angenommen es gelänge, eine bessere Welt auf den Ruinen der alten aufzubauen - wie könnte diese neue Welt deiner/ Ihrer Meinung nach aussehen? Was wünscht du dir/ wünschen Sie sich persönlich für ein besseres Morgen?
PB:
Ich wünsche mir einen mentalen Paradigmenwechsel auf der Ebene der Spezies. Ich fordere den Übergang von einem bipolar-hierarchischen und linear-kausalen Überlebensdenken, in dem es um Konkurrenz und Dominanz geht, zu einem pulsierenden, netzwerkartigen Entfaltungsdenken, das auf Vielfalt und Kooperation setzt und aus dem eine konsequent lebensfreundliche neue Zivilisation entsteht. Ich nenne diese Zivilisation in meinem Buch „Der entstörte Mensch“ die „Vivilisation“, die Lebens- und Qualitätsgemeinschaft allen Lebens auf der Erde. Das schließt auch Pflanzen, Tiere und gemeinsame Lebensgrundlagen ein. Wir brauchen einen neuen, radikalen Humanismus, der über sich selbst hinausweist und das Menschsein als sich seiner selbst bewussten Teil der Biosphäre begreift.
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MS:
Es wird oft gesagt, eine besondere Fähigkeit von Künstler*innen und Kreativen sei es, unerschrocken Neues zu wagen und immer wieder auf einem weißen Stück Papier ganz von vorne zu beginnen. Welche Strategien oder Rituale nutzt du/ nutzen SIe persönlich, um mit einem neuen Projekt zu beginnen?
PB:
Ich habe drei Rituale. Ich denke und schreibe am besten in den Morgenstunden nach einem Lauf. In der zweiten Tageshälfte hilft mir Schwarztee in einer ganz bestimmten Tasse über das Nachmittagstief. Wenn nichts mehr geht, hilft Mozart. Vor allem das Klavierkonzert Nr. 27 oder die Haydn-Cellokonzerte, gespielt von Sol Gabetta.
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The interview was conducted in July 2021.
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MADELEINE SCHWINGE:
Can art and culture enhance social change and what role could artists and their work in particular play in this? Could one even consider a leading role?
PETRA BOCK:
Since the 1980s, as Phillipp Felsch noted, thinking has migrated from philosophy to art. In this respect, artists play an important role. For me, art is an expression of the development and quality of human thinking. I wish that artists today have the courage to not lose sight of the critique of critique. The autodafe (the self-immolation or destruction of works of art for ideological reasons, editor's note) of art that contradicts a certain ideology is a shuddering kowtow to non-thinking. Never did I expect that this could happen again. I do desire art to be self-aware and world-aware, to provoke, to force us to pause, and to prove exciting and unwieldy in the face of narrow-minded ideologies of whatever origin.
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MS:
In the face of the radical upheavals and crises that characterise our time, may we even dare to hope for a better future? And what effect could 'narrative' have on the process of shaping this future?
PB:
Crises and changes are necessary to make way for the new. Old systems become fragile, new ones emerge. Without this process, there will be no better future. For it to become genuinely better, new narratives are required which no longer imagine the future solely as a dystopia, but as a vision of a process of achievement both filigree and complex. The old narratives of a dysfunctional humanity of the Holocene are deceased. Vivid instead will be the narratives of a consistently life-friendly Anthropocene - even if they have yet to find their way in this century.
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MS:
What might be the impulses of a transdisciplinary dialogue between art, culture and other disciplines that would have the power to catalyse social transformation? Which fields of expertise and practice could be fruitful for your own work?
PB:
Important for my work are: art, cognitive science, cultural studies, history, politics, philosophy, anthropology, earth systems science, neuroscience, architecture, psychology, pedagogy, and education. At the moment I am reading a lot by Peter Sloterdijk ("After God") and Francois Jullien ("There is no cultural identity").
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MS:
Assuming it would be possible to build a better world on the ruins of the old one - according to you, how could this new world look like? What do you wish personally for a better tomorrow?
PB:
I request a mental paradigm shift at the species level. I call for a transition from a bipolar-hierarchical and linear-causal survival thinking, which is about competition and dominance, towards a pulsating, network-like thinking of unfoldment, which is based on diversity and cooperation, and from which a consequently life-friendly new civilisation can be generated. I call this civilisation in my book "Der entstörte Mensch" the "Vivilisation", the life and quality community of all life on earth. This includes plants, animals, and shared livelihoods. We need a new, radical humanism that points beyond itself and understands being human as a self-conscious part of the biosphere.
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MS:
It is often said that a distinctive skill of artists and creatives is to consistently seek the new and to always start from scratch on a blank piece of paper. When you begin a new project, what strategies or rituals do you personally use?
PB:
I have three rituals. I think and write best in the morning hours after a run. In the second half of the day, drinking black tea in a very specific cup helps me get over the afternoon slump. And when nothing helps anymore, Mozart certainly does. Especially the Piano Concerto No. 27 or the Haydn cello concertos, as performed by Sol Gabetta.​
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The interview was conducted in July 2021.
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Dr. Petra Bock (*1970) is a historian and holds a doctorate in political science.
She works as an executive coach, is the author of numerous internationally translated best-sellers and a sought-after speaker. As a transformation researcher, she has spent many years investigating fundamental political system change and the history of human ideology and philosophy. Driven by the question of how we might realise our full potential of freedom, effectiveness and life quality in our own lives, in economy and society, she founded the Dr. Bock Coaching Academy in 2008, today one of the leading institutes for advanced training within the field of professional coaching in Europe, operating in Berlin and Zurich. She originated a methodology and award-winning practice of human mindsets and behaviours that enables individuals and organisations to break free from blockages and unlock their full potential. Her latest book "Der entstörte Mensch" (DROEMER) is a pragmatic utopia and a socio-philosophical contribution to a discourse on a brave new culture of life as we enter the Anthropocene.